Seit Dienstag werde ich von meinem Schatz mit den eigentümlichsten Kosenamen bedacht. Backenhörnchen, Hamster oder auch Frosch sind nur einige der liebevoll-scherzhaft gemeinten Bezeichnungen, die er mir verleiht. Grund dafür sind die hartnäckig anhaltenden Auswirkungen des gefühlt längsten Zahnarztbesuches meines bisherigen Lebens. Wobei die Entfernung des fast waagerecht im linken Kieferknochen verankerten Weisheitszahnes noch das geringste Übel darstellte. Die parallel dazu stattgefundene Wurzelspitzenresektion eines nebenan sitzenden Backenzahnes stellte sich als wesentlich zeitaufwendiger und unangenehmer dar. In den knapp zwei Stunden, in welchen mir Dr. Pain im Mundwerk herumfuhrwerkte, empfand ich zwar keine Schmerzen, hatte aber den Eindruck und die nervige Geräuschkulisse einer Kreissäge mitten in meinem Kopf. Mein sehnlichster Wunsch war es in diesen Augenblicken, doch auf der Stelle die Zahnarztpraxis mit einem Tattoostudio vertauschen zu können. Egal wie viele Tätowierungen dabei entstanden wären, und ganz egal an welchen Körperstellen!
Nun komme ich also seither mit dem Wechseln der Eisbeutel fast gar nicht mehr nach, sehe zumindest von der linken Gesichtshälfte her betrachtet einem Kugelfisch ziemlich ähnlich und ernähre mich ausschließlich von Speisen in breiiger Konsistenz. Für den Fall, dass es meinen Göttergatten danach gelüstet, in meinem Beisein Schnitzel, Schäufele oder ähnliche leckere Sachen zu verzehren, habe ich bereits mit Lynchmord gedroht. Dass ich meinen Mund derzeit nicht sehr weit aufzureißen vermag, dürfte einige meiner Mitmenschen bestimmt freuen. Aber wenigstens habe ich zwischenzeitlich wieder die Muse, mich per Laptop von der Couch aus der restlichen Welt mitzuteilen. Der aktuelle Anlass brachte mich dann auch auf das heutige Thema.
Die Zahnfee ist garantiert nichts weiter wie eine Figur aus reißerischen, amerikanischen Horrorfilmen. In den vergangenen drei Jahren wurden drei Weisheitszähne bei mir entfernt und nie fand ich anschließend irgendwelche Kohle unter meinem Kopfkissen. Weder einen 100 Euronen-Schein noch überhaupt einen einzigen, müden Cent. Die spinnen die Amis! Aber Geld ist ja bekanntlich nicht alles. Viel besser wie der schnöde Mammon wäre es doch, niemals im Leben überhaupt Zahnschmerzen erleiden zu müssen. Gibt es denn wirklich nichts, mit dem diese elendige Quälerei verhindert werden kann?
Im alten Volksbrauchtum Mecklenburg-Vorpommerns wurde ich schließlich fündig. Warum nur wusste meine Oma nichts davon? Lag es daran, dass Tante Martha, ihre Schwester, erst 1945 von Ostpreußen nach Schwerin umsiedeln musste und die abergläubischen Riten ihrer neuen Heimat daher nicht so gut kannte? Sie war es doch aber auch, die mir im Vorschulalter dazu riet, eine Wegschnecke über die Warze auf meinem Handrücken kriechen zu lassen. Ob es wirklich geholfen hätte, weiß ich bis heute nicht, hielt mich doch der Ekel vor den glitschigen Tierchen von der Umsetzung dieses Ratschlages ab. Falls ja, wäre es aber garantiert weniger qualvoll gewesen wie das Abbrennen des kleinen Hautgeschwulstes durch den Arzt, zu dem mein Vater mich später dann schleppte.
Nun, auch die mecklenburgischen Tipps zur Vermeidung von Zahnweh sind nicht gänzlich ohne, wie sie wahrscheinlich beim Lesen gleich merken werden:
Hätten meine Eltern den ersten Zahn, der mir in der Kindheit gezogen wurde, zu Asche verbrannt und mir diese dann unters Essen gemischt, dann wäre es ein für allemal zu Ende gewesen mit Zahnschmerzen jeglicher Art. Wem dies nun wirklich richtig widerlich erscheint: Kein Problem, den gezogenen Zahn über einen Ofen hinwegzuschmeißen, hätte ebenfalls schon geholfen.
- Ziemlich schwer dürfte es werden, in einer Stadtwohnung von Mäusen angefressenes Brot zu finden. Ob es eine Zuchtrennmaus aus der Zoohandlung ebenfalls tut? Den gängigen Hygienevorschriften dürfte es dann zwar genauso wenig entsprechen, aber der Verzehr dieses angenagten Mäusefutters soll ebenfalls nachhaltig vor Zahnschmerzen schützen.
Was Mäuse betrifft handelten die Mütter im Süden Deutschlands übrigens erst recht Ekel erregend. Diese bissen nämlich einer lebendigen Maus den Kopf ab und hingen diesen dann als Amulett um den Hals ihres Säuglings, um dem Baby das Zahnen zu erleichtern. Da ich Tiere über alles liebe und respektiere, ja tatsächlich auch Mäuse, bitte ich dringend von Nachahmungen jeglicher Art abzusehen!
Nun aber wieder zurück zu den abergläubischen Mecklenburgern:
Unsere alten Götter, insbesondere Thor, scheinen auch beim Kampf gegen den Zahnschmerz recht hilfreich zu sein. Suchen Sie sich einen vom Blitzschlag getroffenen Baum, brechen Sie von diesem einen Holzsplitter ab und stochern Sie damit ein wenig im wunden Zahn herum. Wenn Sie den Splitter dann wieder zurück in den Baum stecken und schnell von dannen gehen, wird sich auch der Schmerz verziehen. Nebenbei bemerkt, soll es auch wirksam sein, direkt in den kaputten Baum hineinzubeißen. Ich stelle mir den Anblick jedenfalls recht lustig vor. Ich könnte zwar vor Wut ganz gerne einmal in meine Tastatur beißen, aber gleich in einen Baum…? Na, jedem das Seine!
Es gab auch Leute, die haben ein Stück Brot zerkaut und dieses dann in einen Ameisenhaufen hinein gespuckt. Angeblich sollen die nervtötenden Zahnschmerzen dann nur noch solange andauern wie die Ameisen brauchen, um die Überreste des Brotes zu vertilgen. Vorsicht, auf dem Nachhauseweg darf nicht zurückgeblickt werden. Ich habe allerdings keine Ahnung, was anderenfalls passiert. Lots Weib erstarrte ja zur Salzsäule. Hat jemand in Meckpomm schon mal Termitenhügel gesehen?
Zu guter Letzt soll es auch recht förderlich sein, wenn man jemanden, der über Zahnweh klagt, eine ordentliche Maulschelle verpasst. Der Schreck darüber vertreibt die Schmerzen im Nu. Aber bitte helfen Sie auf diese Art und Weise nur einer wirklichen Person Ihres Vertrauens, denn seit ungefähr fünfundzwanzig Jahren scheint es in Gesamtdeutschland schwer in Mode gekommen zu sein, wegen jedem noch so kleinen Fliegenschiss gleich mit dem Rechtsanwalt zu drohen. Und sie wollen doch nicht riskieren, von einem ihrer besten Freunde oder gar dem eigenen Bruder verklagt zu werden?!
Nun, ehrlich gesagt, sind mir all diese vorab geschilderten Methoden doch etwas suspekt und viel zu abstrakt. Wirklich gute Erfahrungen konnte ich bisher nur mit der vorübergehenden Anwendung der guten, alten Gewürznelke sammeln. Aber auch dieses antibakteriell und schmerzlindernd wirkende Naturheilmittel kann den Gang zum Guschenklempner, so der sächsische Begriff für Zahnarzt, leider nicht ewig verhindern. Freuen wir uns also lieber, dass die Zahnmedizin seit dem Mittelalter erhebliche Fortschritte gemacht hat, und wir uns nicht mehr zum nächsten Markttag die Zähne von einem dilettantischen Stümper ziehen lassen müssen.
Ich wünsche Ihnen allen eine lange, zahnschmerzfreie Zeit!